Kolumne aus der Wundversorgung von Kerstin Protz
Edukation umfasst die Bereiche Information, Beratung, Schulung sowie Anleitung, die sich ergänzen und teilweise in einander übergehen. Sie orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten des Betroffenen. Eine klare Zielvorgabe zu Beginn der edukativen Maßnahmen erleichtert allen Beteiligten das gemeinsame Vorgehen und ermöglicht im Nachhinein eine Beurteilung des Erfolgs. Die Edukation beginnt mit der Vermittlung von Informationen, durch ein persönliches Gespräch und ggf. unterstützende Broschüren, um das jeweilige Thema für den Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Auf die vermittelten Informationen baut die Beratung auf, deren Schwerpunkt auf der individuellen Situation des Betroffenen liegt. Im Gegensatz zur Schulung enthält eine Beratung noch keine sach- oder problembezogene Handlungsanleitung. Die Schulung orientiert sich am Wissensdefizit des Betroffenen und erhöht seine Alltagskompetenz durch Wissen und Verstehen. Durch Anleitung vermittelt die Pflegefachkraft praktische Fertigkeiten, z. B. den sachgerechten hygienischen Umgang mit den Materialien sowie einen strukturierten Handlungsablauf.
Pflegende Angehörige sollten stets in die Edukation mit einbezogen sein. Grundlage ist das Verständnis der Situation des Betroffenen. Die Schwerpunkte der Edukation ergeben sich aus den individuellen Gewichtungen des Betroffenen, seiner Auffassungsgabe und seinen Bedürfnissen. Nicht alle oben genannten Bereiche müssen Bestandteil jeder edukativen Maßnahme sein. Im Vordergrund steht die Unterstützung des Patienten bei dem alltäglichen Umgang mit seiner Erkrankung. Ziel der Edukation ist, den Patienten zu einem gesundheitsbezogenen Selbstmanagement im Rahmen seiner Möglichkeiten zu befähigen.
Die Aufgabe der Pflegefachkraft im Rahmen der Edukation ist, den Patienten zu ermöglichen, erlernte Inhalte in seine Alltagshandlungen zu integrieren. Hierfür werden folgende Voraussetzungen benötigt:
- Soziale, fachliche, kommunikative und pädagogische Kompetenzen: z. B. nicht schulmeisterlich auftreten
- Methodenkenntnisse und aktuelles Fachwissen
- Befähigung zur Beratung bei Produkt- und Hilfsmittelauswahl und deren Nutzung
- Verständliche Vermittlung von Informationen: Fremdworte vermeiden, Anschauungsmaterial verwenden
- Berücksichtigung von Lerntyp, Lernform und angepasster Gebrauch von Begrifflichkeiten
- Schaffen adäquater Rahmenbedingungen: ruhige, entspannte Atmosphäre, Stressfaktoren ausschalten, z. B. Telefon lautlos
Der DNQP Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ (2015) fordert in diesem Zusammenhang auch die Einrichtungen: „Eine bedarfsgerechte Personalplanung gewährleistet, dass Pflegekräfte diesen komplexen Aufgaben gerecht werden können. Hierzu gehören (…) auch die Schulung und Beratung der betroffenen Patienten, die bisher wenig Raum in der alltäglichen Versorgung findet.“ (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2015, S. 41)
Betroffene und Versorger sollten zunächst eine gemeinsame, vertrauensvolle Basis finden. Dabei ist vorab zu klären, in welchem Verhältnis Patient und Pflegefachkraft zueinander stehen, ob der Patient offen, ängstlich oder verschlossen ist und ob die grundsätzliche „Chemie“ stimmt. Gegebenenfalls ist ein anderer Kollege aus dem Team mit der Versorgung zu beauftragen. Folgende Faktoren können eine Edukation erschweren:
- Desorientierung, Vergesslichkeit
- Körperliche Schwäche oder Behinderung
- Frustration, Depression
- Kulturelle Aspekte
- Schwerhörigkeit, sonstige Kommunikationsstörungen
- Fehlendes Sprachverständnis: fremde Sprache, sensorische Aphasie
- Negative Vorerfahrungen des Patienten und seiner Angehörigen
Patienten wünschen sich eine wertschätzende, vertrauensvolle und kompetente Kommunikation, die die Auswirkungen der Wunde auf ihren Alltag erfasst und entsprechende Strategien mit einbezieht. Sie möchten nicht als dickköpfig, starrsinnig oder non-compliant bzw. non-adhärent beurteilt werden. Patienten, die so erscheinen, sind ggf. nur ungenügend aufgeklärt und haben zudem ihre Vorerfahrungen gemacht. Auch sollten keine widersprüchlichen Aussagen vom Behandlungsteam kommen, da diese Unsicherheit erzeugen können.
Im Rahmen der pflegerischen Anamnese wird der individuelle Bedarf an Unterstützung auf Seiten der Patienten und Angehörigen ermittelt. Hieraus sind auch Voraussetzungen abzulesen, die der Patient mit in den Edukationsprozess einbringen kann. Im Vordergrund der Edukation stehen die Ziele und Bedürfnisse des Patienten und seiner Angehörigen - nicht die des Behandlungsteams.
Die Pflegefachkraft ermittelt, was Wunde und Therapie für die Lebensqualität des Betroffenen bedeuten und welche Einschränkungen dieser dadurch hat. Darauf aufbauend erfolgt die Erfassung der gesundheitsbezogenen Selbstmanagementfähigkeiten und die Abfrage des individuellen Beratungs- und Unterstützungsbedarfs. Hierfür können Assessmentinstrumente zur Anwendung kommen, z. B.:
- Lebensqualität bei chronischen Wunden (Wound-QoL)
- Würzburger Wundscore (WWS)
- Wittener Aktivitätenkatalog der Selbstpflege bei venös bedingten offenen Beinen (WAS-VOB)
- Fragebogen zur Lebensqualität bei Wunden (FLQA-w)
Die Pflegefachkraft erfasst zu Beginn des Termins das Vorwissen des Patienten, z. B. über sein Krankheitsbild, zum Verbandwechsel und die korrekte Durchführung. Es wird vereinbart, was der Betroffene lernen kann, z. B. Maßnahmen bzw. Verbände selbständig, ganz oder teilweise durchzuführen bzw. anzulegen oder nur Kenntnisse darüber zu haben, was, wann, wie und warum gemacht und verwendet wird; ggf. sind die Angehörigen mit einzubinden. Hierfür ist ein zeitlicher Rahmen zu definieren. Zudem werden bestimmte Beobachtungskriterien vereinbart, aufgrund derer der Betroffene außerhalb der Termine zeitnah mit der betreuenden Pflegfachkraft in Kontakt treten sollte: beispielsweise Blasen, Druckstellen, Juckreiz, Feuchtigkeit/stark durchnässter Verband (Abb.1), Unverträglichkeiten (Abb.2), Geruch, Einschnürungen, Missempfindungen, Schmerzen.
Abb. 1: völlig durchnässter Verband im Fußbereich |
Abb. 2: Unverträglichkeit auf Wundauflage |
Aspekte sind unter anderem die Kenntnis der verwendeten Produkte, ihre Aufbewahrung und die Vertrautheit mit ihrem korrektem Einsatz. Hierzu gehören:
- Einsatz von einer feucht-warmen, hydroaktiven Wundversorgung
- Herstellerhinweise mit Patienten/Angehörigen durchgehen
- Hygienischer Umgang mit den Materialien: Materialien, die in direktem Wundkontakt stehen, müssen steril sein; dieses Zeichen bedeutet Einmalprodukt: nach Anbruch keine Weiterverwendung
- Keine Haustiere während des Verbandwechsels im Patientenzimmer; bei kleineren Tieren ist ein Käfig ausreichend.
- Wundspüllösung anwärmen, um Schmerzen beim Verbandwechsel zu reduzieren und die Wundheilung nicht zu beeinträchtigen: z. B. in einem Wasserbad oder in der Hosentasche, nicht Mikrowelle!
- Korrekte Applikation der Wundauflage (Abb. 3), z. B.: richtige Seite auflegen (Abb. 4), nicht Folie auf Folie kleben (Abb.5: Da ein Schaumverband bereits eine Folienbeschichtung hat, sollte dieser nicht komplett mit Folie überklebt werden. Eine Randfixierung wäre ausreichend. Zudem ist vergessen worden, bei der Folie, die oberste Schicht abzunehmen. Dadurch wird der Gasaustausch behindert, und es besteht die Gefahr, der Ausbildung einer infektgefährdeten feuchten Wundkammer.)
- Viele Wundauflagen dürfen nicht zurechtgeschnitten werden, da dann ggf. Materialeigenschaften zerstört oder Stoffe in die Wunde frei gesetzt werden können.
- Material adäquat aufbewahren: z. B. staubfrei und vor äußerlichen Einwirkungen geschützt (z. B. Essenskrümel, verschüttete Getränke) und vor Hitze geschützt lagern (Abb. 6)
- Bei Schmerzen beim Verbandwechsel: ggf. Wundauflagen ohne Kleberand auswählen oder Beratung zu Produkten mit hautfreundlichen Beschichtungen (z. B. Silikon), die einen atraumatischen Verbandwechsel ermöglichen
Abb. 3: falsche Applikation |
Abb. 4: Wundauflage falsch herum appliziert |
Abb. 5: Wundauflage falsch appliziert |
Abb. 6: geschützte Aufbewahrungskiste |
Die Pflegefachkraft erläutert Betroffenen und ihren Angehörigen die einzelnen Schritte und leitet ggf. die selbständige Durchführung an. Die Übergabe von ergänzendem und verständlichem Informationsmaterial unterstützt die verbale Anleitung.
Die Maßnahmen sind entsprechend der vorhanden Ressourcen mit dem Patienten besprochen. Optimalerweise ist das Vertrauen des Patienten in seine Fähigkeiten zu einer zweckmäßigen Umsetzung der Pflege und Therapie gestärkt, Vertrauen entsprechend aufgebaut und somit ein Gefühl von Machtlosigkeit und Hilflosigkeit verhindert. Am Ende sind noch eventuelle Fragen zu klären und das weitere Vorgehen, d. h. bei Bedarf weitere Termine oder auch Lernziele zu vereinbaren. Zudem wird der Patient gebeten, in der Zwischenzeit bis zum Folgetermin, spezielle Beobachtungen oder mögliche Fragen aufzuschreiben.
Die Pflegefachkraft evaluiert im Anschluss unter nachfolgenden Aspekten ihr eigenes Verhalten und leitet daraus weiterführende Erkenntnisse sowie Strategien ab:
- Was habe ich dem Patienten erläutert, was kann er beim nächsten Mal ggf. noch lernen?
- Worauf sollte wiederholt eingegangen werden?
- Besteht ein empathischer Zugang?
- Sind Menge und Inhalte ausgewogen (Unter-/Überforderung)?
Tipps:
- Über die Homepage des Wundzentrum Hamburg e.V. (www.wundzentrum-hamburg.de) können vier Patienten- und Angehörigenbroschüren zu den folgenden Themen: „Wundwissen“, „Fußgesundheit bei Diabetes mellitus“, Kompression einfach – tragbar“ und „MRSA Antibiotika-unempfindliche Bakterien“ kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden. Mitglieder können diese Broschüren kostenfrei unter Eingabe ihrer Mitgliedsdaten über ein Kontaktformular auf der Homepage bestellen.
- Über das Netzwerk Patienten- und Familienedukation in der Pflege e.V. (www.patientenedukation.de) sind weiterführende Informationen zu erhalten.
Kerstin Protz
Krankenschwester, Projektmanagerin Wundforschung im Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, Referentin für Wundversorgungskonzepte, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e.V.
Quellen
Abt-Zegelin A. & Schäfer A. (2009) Patientenedukation und Patientensicherheit greifen ineinander. Die Schwester Der Pfleger; 48(10), S. 970-974.
Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden. (2015) 1. Aktualisierung Osnabrück, Fachhochschule Osnabrück.
Kuckerland H, Scherpe M, Schneider K. (2008) Beratung in der Pflege - zukunftsorientierte Aufgaben für Pflegefachkräfte. Unterricht Pflege; 13(3), S. 2-11.
Langer I, Schulz von Thun F, Tausch R. Sich verständlich ausdrücken. (2006) 8. Aufl. München, Verlag E. Reinhardt
Panfil E M, Schröder G. (2015) Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, 3. Aufl. Bern, Hans Huber.
Protz K, Verheyen-Cronau I, Heyer K. (2013) Broschüren zur Unterstützung der Patientenedukation in den Themenbereichen MRSA, Kompression und Wundwissen – Eine Untersuchung anhand der Veröffentlichungen des Wundzentrum Hamburg e.V. Pflegewissenschaft; 15(12):658-678.
Protz K. (2016) Moderne Wundversorgung, 8. Aufl. München, Elsevier Verlag
Wieß S. (2012) PflegeKolleg Patientenedukation. Heilberufe das Pflegemagazin online; 64(3) Teil 2 und Teil 3
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